„Das Bürgermeisteramt darf nicht zu einem Erbhof verfallen“
Eine Ära geht zu Ende: 16 Jahre lang hat Wilhelm Garn als Hauptverwaltungsbeamter die Gemeinde Brieselang in die Zukunft geführt, nun verabschiedet er sich nach zwei Amtszeiten in den wohlverdienten Ruhestand. Der Bürgermeister, der nur noch wenige Tage im Amt ist, blickt auf seine Bilanz nicht ohne Stolz, aber mit Demut zurück. Wie diese ausfällt, hat er unter anderem im Interview verraten.
Herr Garn, Ihre zweite und damit letzte Amtszeit als Bürgermeister der Gemeinde Brieselang endet am 17. Dezember. Wie schwer fällt Ihnen der Abschied?
Garn: 16 Jahre lang Chef einer Verwaltung zu sein und 16 Jahre Verantwortung für die Entwicklung einer Gemeinde zu tragen sind schon eine Menge Holz. Es hat viel Freude gemacht, die Entwicklung der Gemeinde mitzugestalten und voran zu bringen. Ebenso blicke ich auf eine engagierte Mitarbeiterschaft, die wesentlich dazu beigetragen hat. Einerseits fällt der Abschied schon schwer, aber andererseits sollte man nach zwei Amtszeiten auch das Feld räumen. Das Bürgermeisteramt darf nicht zu einem Erbhof verfallen.
Gerät Ihre Gefühlswelt ins Wanken oder bleiben Sie betont locker?
Garn: Man muss loslassen. Das wird sicherlich schwer fallen, aber es ist notwendig.
Ihre Frau Daniela macht mit Blick auf Ihren bevorstehenden Ruhestand sicherlich drei Kreuze, oder? Sie hat schließlich ihren Mann als öffentliche Person in all den Jahren teilen müssen.
Garn: Ja, richtig. Jetzt werde ich mehr Zeit für Familie, Freunde und Hobbys haben.
Wie sehen die letzten Tage im Rathaus aus? Ist der Schreibtisch schon aufgeräumt?
Garn: Warum aufgeräumt? Der Nachfolger hat einen Anspruch darauf, in Vorgänge und Akten eingeführt zu werden. Aufräumen ist das falsche Wort. Sortieren und ordnen ist da eher richtig. Natürlich werde ich persönliche Erinnerungstücke mitnehmen.
Rückblick: Als Student und Mitglied im RCDS, ein CDU naher Studentenverband, galten Sie als „linksradikaler der Union“, weil sie sich mit dem politischen Establishment angelegt haben. Sie haben als Langhaariger oft den Finger in die Wunden gelegt. Was war seinerzeit passiert?
Garn: Ich habe immer wieder hinterfragt und gelegentlich auch herkömmliche Wege anders gesehen. Zum Teil auch anders gehandelt als die Verantwortlichen es wollten.
Verstehen Sie sich generell als Rebell?
Garn: Rebell ist das falsche Wort. Wie ich eben schon gesagt habe ist einer meiner Wesenspunkte zu hinterfragen. Das Hinterfragen von Dingen, besonders wenn man den Ausspruch, das haben wir immer so gemacht‘ hört, führt dazu, dass sich neue Wege und Lösungen öffnen. Man muss den Mut haben, eingefahrene Wege zu verlassen. Das macht vielen Menschen Angst und führt zu Widerständen. Daher wird man schnell als Rebell bezeichnet.
Nicht jeder Verwaltungschef beherzigt das: Trotz Ihres CDU-Parteibuchs haben Sie als Bürgermeister immer die Maxime walten lassen „zuerst die Kommune, dann die Christdemokratie“, warum eigentlich?
Garn: Den Anspruch hat die Bürgerschaft. Als Bürgermeister wird man als Person gewählt und ist der Bürgermeister aller Einwohner, egal welcher politischen Gruppierung der Einzelne angehört. Ich stehe dazu, dass ich ein Bürgermeister bin, der Mitglied der CDU ist. Aber ich bin kein CDU-Bürgermeister. Selbst heute fragen mich Bürger: ,Bist Du eigentlich in einer Partei?‘ Für mich ist es aber wichtig, christdemokratische Grundwerte zu leben und zu vermitteln, wie zum Beispiel Respekt und Meinungsfreiheit.
Nach Ihrem Chemie- und Maschinenbau-Studium an der TU Berlin haben Sie in der freien Wirtschaft - bei der ALBA-Gruppe als Leiter der infrastrukturellen Dienste und des Objektmanagements sowie der Projektentwicklung- Fuß gefasst. Hat Sie das geprägt, um später die Verwaltung auch mit wirtschaftlichem Sachverstand zu führen?
Garn: Ja. Das hat mich sehr geprägt. Als Bürgermeister ist es sehr hilfreich, Elemente der freien Wirtschaft in die öffentliche Verwaltung zu übertragen. Dazu gehört beispielsweise das Management von Projekten, das Kostenbewusstsein oder die Kunden-Bürgerorientierung.
Warum wollten Sie eigentlich Bürgermeister werden?
Garn: Brieselang hat in 2003 eine gewisse Stagnation ausgestrahlt. Es hat mich als Manager gereizt, diese zu beenden. Auch das Bürgermeisteramt ist ein Projekt mit extrem vielen unterschiedlichen Facetten.
„Schluss mit Stagnation und Rückschritten - lch stehe für den Aufbruch in der Gemeinde!“, so lautete 2003 im Wahlkampf einer Ihrer Slogan: Ist die Aussage rückblickend bezeichnend für Ihre Amtszeit gewesen?
Garn: Ich glaube ja. Wir, also die Bürgerinnen und Bürger, die Gemeindevertretung, die Verwaltung und der Bürgermeister, haben gemeinsam vieles in den vergangenen Jahren angeschoben und umgesetzt. Als Bespiel mögen hier der Straßenbau und die Sanierung der Gemeindefinanzen dienen. 2003 hatte die Gemeinde weit über 25 Millionen Euro Schulden und Bürgschaften am Hals. Auch die Inanspruchnahme von zwei Millionen Euro an Kassenkrediten hemmte die Gemeinde. Gleich im Dezember 2003 mussten die kommunaleigenen Gesellschaften KEG und BRIBO in die Insolvenz geschickt werden. Die Gemeinde sah sich mit Forderungen von weit über einer Million Euro Erlösauskehr aus Grundstücksgeschäften der 1990er Jahre konfrontiert. Mit einem Satz gesagt: die Gemeinde war finanziell am Ende. Heute haben wir ,nur noch‘ unter sieben Millionen Euro Schulden und Bürgschaften. Seit Jahren haben wir den Kassenkredit nicht mehr in Anspruch nehmen müssen und haben an vielen Stellen der Gemeinde investieren können. Auch konnte die Verwaltung moderner und Bürgerorientiert entwickelt werden. Es wurde zum Beispiel ein Bürgerbüro und eine umfassende Homepage eingerichtet. Die Informationspolitik des Rathauses wurde transparenter gestaltet, das Amtsblatt wird in der Zwischenzeit weitgehend jedem Haushalt zugeführt und wurde nun auch informativer gestaltet. Verwaltungsvorgänge wurden anders gestaltet und die Verwaltung wurde umstrukturiert. Das Rathaus ist der Dienstleister für die Bürgerinnen und Bürger der Gemeinde. Besonders stolz bin ich darauf, dass wir von Anfang an auf die Ausbildung von Verwaltungsfachangestellten Wert gelegt haben. Viele der heutigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stammen aus den eigenen Reihen.
Erinnern Sie sich eigentlich noch an Ihren ersten Arbeitstag? Wie war das eigentlich als Sie im Dezember 2003 erstmals auf dem Rathauschefsessel Platz genommen haben, Glücksgefühle pur?
Garn: Glücksgefühle? Na ja, ich habe mich auf die Arbeit gefreut. Man muss sich auch die damalige Zeit vor Augen führen. Richard Heynisch hat als Amtsdirektor das Amt Brieselang in den 90er Jahren erfolgreich geführt. Anschließend hat Herr Jergla das Amt übernommen, der wurde aber durch den Amtsausschuss seines Amtes enthoben. Herr Lessing hat dann das Amt als Stellvertreter durch eine sehr unruhige und bewegte Zeit führen müssen. Ich habe also das Amt ohne Übergabe durch einen direkt gewählten Vorgänger übernehmen müssen. Hinzu kam, obwohl ich 65 Prozent der Stimmen der Wählerschaft erhalten habe, gab es ein Misstrauen in der Verwaltung und gerade auch unter großen Teilen der Bevölkerung. Da wird jemand Bürgermeister, der aus der Wirtschaft kommt, in West-Berlin aufgewachsen ist und auch noch Mitglied der CDU ist. Dieses Misstrauen existiert meiner Ansicht nach nicht mehr. Heute wird meine Arbeit als Bürgermeister bewertet. Rückwirkend betrachtet war es eine gute Zeit für die Gemeinde, aber auch für mich als Person.
Sind Sie in Ihrer Anfangszeit oder auch im Verlauf Ihrer Amtszeit an Grenzen gestoßen?
Garn: Ja, selbstverständlich. Man nimmt sich schließlich viel vor. Bei der einen oder anderen Angelegenheit habe ich festgestellt, dass der eingeschlagene Weg nicht der richtige ist. Da muss man auch den Mut haben, den Weg oder die Richtung zu ändern. Auch muss man sich eingestehen, dass Fehler gemacht werden oder man falsch gehandelt hat.
In den 16 Jahren als Rathaus-Chef - was war Ihr schönster Moment?
Garn: Da kann ich keinen einzelnen Moment herausheben. Sehr schöne Momente sind aber die Gespräche mit den Bürgerinnen und Bürger gewesen.
Was sind Ihre größten Verdienste? Worauf blicken Sie besonders stolz zurück?
Garn: Das kann ich nicht beurteilen. Diese Bewertung überlasse ich den Menschen, die in unserer Gemeinde leben.
Gab es bittere Momente oder schwierige Situationen, die Sie zu meistern hatten?
Garn: Bittere Momente gibt es immer wieder, wenn Menschen von uns scheiden, die jahrelang das Gemeindeleben mitgeprägt haben wie zuletzt Guido von Martens. Schwierige Situationen tauchen in der Arbeitswelt immer wieder auf. Hier konnte ich mich aber immer auf Lösungen gemeinsam mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Gemeinde verlassen.
Würden Sie aus heutiger Sicht irgendetwas anders entscheiden oder sind Sie generell zufrieden mit all dem, wie es gelaufen ist?
Garn: Sicherlich wird jeder Mensch, so auch ich, mit einem zeitlichen Abstand im Rückblick auf Ereignisse und Entscheidungen manches anders machen. Auch habe ich sicherlich in den 16 Jahren das Eine oder Andere falsch gemacht. Ich bin aber der Ansicht, dass Entscheidungen aus einer Zeiterkenntnis entstehen. Jahre später sieht man manches sicherlich mit mehr Wissen anders. So kritisieren wir heute sehr leichtfertig Entscheidungen, die in Brieselang in den 1990er Jahren getroffen wurden. Wir müssen uns aber immer wieder die Frage stellen, ob wir nicht ebenso dieselben Entscheidungen mit dem damaligen Wissen getroffen hätten.
Wie sollte ein Bürgermeister sein Amt generell ausüben?
Garn: Zuhören und den Bürgerinnen und Bürgern gegenüber ehrlich sein. Auch dann, wenn es manchmal unangenehm ist.
Wann und warum haben Sie sich dazu entschieden, eine dritte Amtszeit nicht mehr anzustreben? Sie sind aus freien Stücken und bewusst nicht mehr zur Wahl angetreten. Warum genau?
Garn: 16 Jahre sind genug. Ich bin jetzt über 65. Es ist Zeit, einem anderen den Platz zur Verfügung zu stellen. Mir ist es auch wichtig gewesen, nicht eines Tages aus dem Amt getrieben zu werden, sondern die Entscheidung selbst zu treffen.
Befürworter und Kritiker Ihrer Arbeit gab es gleichermaßen: Haben Sie als Bürgermeister ein dickes Fell benötigt?
Garn: Ja, ein dickes Fell braucht man schon. Besonders schwer ist es dann, wenn es manche Menschen in der digitalen Welt, insbesondere in den sozialen Medien mit der Wahrheit nicht ganz so genau nehmen - insbesondere wenn sich daraus auch Gerüchte verbreiten und die dann nicht mehr beherrschbar sind.
In der letzten Phase Ihrer Amtszeit wurden noch einige Projekte, die Ihnen besonders wichtig waren angepackt, umgesetzt oder auf den Weg gebracht. Da fällt der Abschied nach 16 Jahren gewiss leichter, oder?
Garn: Ja und Nein. Es wäre fatal, wenn in der Gemeinde zukünftig ein Stillstand existieren würde. Gerade das, was in der letzten Zeit noch angeschoben wurde, wie der Bau einer Gesamtschule oder der KITA-Neubau, sind ja Dinge, die in die Zukunftsentwicklung der Gemeinde wirken. Ich bleibe ja Bürger der Gemeinde und freue mich, wenn unsere heute schon liebens- und lebenswerte Gemeinde sich weiter entwickelt.
Was wünschen Sie ihrem Nachfolger Ralf Heimann?
Garn: Immer ein offenes Ohr für die Bürgerinnen und Bürger und natürlich für die Mitarbeiter der Verwaltung.
Werden Sie als „graue Eminenz“ im Hintergrund Ratschläge verteilen?
Garn: Nein, das wäre meinem Nachfolger auch nicht fair gegenüber. Gerne werde ich aber mein Wissen zur Verfügung stellen, wenn ich gefragt werde.
Und was wünschen Sie den Brieselangern, Bredowern und Zeestowern?
Garn: Dass sie sich weiterhin engagiert und couragiert an der Entwicklung der Gemeinde beteiligen.
Und nun? Sie werden ab dem 18. Dezember mehr Zeit für Ihre Familie und ihre Hobbys haben. Wollen Sie sich dennoch als Ruheständler ehrenamtlich in der Gemeinde Brieselang einbringen und engagieren? Wie lauten Ihre Vorstellungen?
Garn: Lassen Sie mich an dieser Stelle den Wunsch äußern, dass ich mich freuen würde, wenn noch mehr Ehrenamtliche sich in den Vereinen, Organisationen, den Gemeindegremien und so weiter engagieren würden. Ich jedenfalls werde es während meines Ruhestandes tun - aber nicht in der aktiven Gemeindepolitik.
Vielen Dank, Herr Garn! Alles Gute für Ihre Zukunft!